Sonntag, 24. Juni 2012

Ortsnamenforschung in Südwestdeutschland (Ulrich Sieber 1999)

Ortsnamenforschung in Südwestdeutschland (Ulrich Sieber 1999)


Eine Bilanz

Festkolloquium anlässlich des
65. Geburtstages von Dr. Lutz Reichardt
am 10. Dezember 1999

Herausgegeben von Ulrich Sieber

Quelle:   http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2001/744/pdf/Uni_63.pdf    Link

S. 16-23 :
Das weite Feld der Orts- und Flurnamen - Tummelplatz, Forschungsplatz, Kampfplatz, Festplatz  (Arno Ruoff), darin:

 S. 19 :
  • Loh = kleiner Wald      ==>  Lache =  verwandt ?
  • Michelleh = großer Grabhügel  ==> fehlgedeutet als schlichtes "Michele"
       (vgl. Bernhard Maier, Kleines Lexikon der Namen und Wörter keltischen Ursprungs,
                                           unter ==> Fürst: ... lat. magnus, gr. mégas, got. mikils = groß)

 S. 20 :
  • Farren = vermeintlicher keltischer Stierkult auf vielen Schwarzwälder Bergen
    (jedoch Stier:  im Nord-Schwarzwald = Hummel, im mittleren Schwarzwald = Hagen)
    Farn ==> tatsächliche Namensherkunft !

  • kapfen = schauen  führte zu einem germanischen  Sonnenkult in Lehmanns  Kapf-Systemen
    von 1991

S. 57-67 :
Die Flußnamen Württembergs: Ergebnisse und Probleme ihrer Erforschung (Albrecht Greule)

darin S. 60-64 :
vorgermanische Flussnamen, höchstwahrscheinlich keltischen Ursprungs:
  • Lein, l. z. Kocher, < *Lı¯na
  • Ammer, l. z. Neckar, < (1171 in villa) Ambra
  • Kocher, r. z. Neckar, 788 (C.) Cochan, < *Kukana
  • Ablach, r. z. Donau,  < *Ablaka; ON
  • Altbach an heute namenlosem Zufluß zum Neckar, (Kr. Esslingen)  < *Albaka
  • Kanzach,  r. z.  Donau < *K(w)antaka

Die  Zuordnung  zur  keltischen  Schicht  erfolgt:
  • bei *Ablaka, *Albaka und *Kwantaka durch das typisch keltische -k-Suffix, 
  • bei Kocher und Lein durch die sprachgeographische Verteilung der Namen dieses Typs;
  • nur bei Ammer verfügen wir – dank der Glosse ambe = rivo – über ein gallisches Etymon,
    von dem aus durch Suffigierung mit -r- der Flußname Ambra abgeleitet wurde.

indogermanische Flussnamen, nicht einer bekannten Einzelsprache zuzuordnen:
a)  völlig isoliert, d. h. ohne Parallelen irgendwo im indogermanischen Sprachgebiet :
  • Maubach, l. z.Murr, 1245 Mupach, < idg. **Mu¯wa
  • Maulach, l. z. Jagst, 1357 Mulach, < idg. *Mu¯la  

b) nicht isoliert, aber auch nicht sonderlich in der europäischen Hydronymie präsent:
  • Neckar, dessen  etymologische  Struktur  *Nik-ro-s und  dessen  Bedeutung  „heftiger, böser, schneller Fluß“ wir durchschauen. Eine identische Parallele weist die Nordschweiz  mit  dem  Fluß Necker auf  (Greule,  Vor-  u.  frühgerm.  Flußnamen am Oberrhein, 141–143). 

c) Europäische Verbreitung des Etymons und unterschiedlichste Suffigierung erweisen  folgende  Namen  als  „alteuropäisch”  im  engen  Sinn;  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  ist  die  von  fließendem  Wasser  mit  unterschiedlichen Bedeutungsnuancierungen:
  • Brettach, l. z. Kocher, < *Breda (+aha)
  • Murr, r. z.  Neckar,  <  *Mursa
  • Nau, l. z. Donau, < 1003 Nâvua = *Na¯wa
  • Enz, r. z.  Neckar,  <  *Antja
  • Seckach, r. z. Jagst, < *Sagja (+aha);
  • Argen, z. Bodensee, 839 Arguna
  • Ohrn, l. z. Kocher, < *Aurana
  • Würm, r. z. Nagold, < *Wermina
  • Kupfer, l. z. Kocher, < *Kupara; ON. 
  • Nabern am  Gießnaubach  (z.  Lauter  z.  Neckar),  12. Jh.  (C.)  Nabera
  • Erms, r. z. Neckar, < *Armisa 
  • Jagst, r. z. Neckar, 989 (C.) Jagesa 
  • Körsch, l. z. Neckar, 1277 Cherse, < *Karisa 
  • Echaz, r. z. Neckar, < *Ak(w)antia 
  • Wiesaz,  r. z.  Steinlach  (z.  Neckar),  <  *Wisantia  
  • Nagold, r. z. Enz, 1075 Nagaltha, mit sehr seltenem -t-Suffix (vgl. neben Nagaltha: *Nagala, *Nagila, *Nagira, *Nagat, Nagà, idg. *nagh-: IEW 971 f.)
Eine  hydronymische  Kostbarkeit  hält  die  württembergische  Flußnamenlandschaft mit dem Namen der Wieslauf, r. z. Rems, 1027 Wisilaffa, bereit.
Es handelt sich um einen komponierten Flußnamen, mit dessen Grundwort -affa > *-apa im Nordwesten des deutschen Sprachgebiets viele Gewässernamen gebildet wurden, so daß man von „den apa-Namen“ sprechen kann.
LUTZ REICHARDT (Rems-Murr-Kreis, 30 f.) vermutet, daß im Falle von Wieslauf -apa verdeutlichend an einen ursprünglich voreinzelsprachlich-idg. Namen *Wisila angetreten sei. Obwohl die Wieslauf westlich des Limes (aber nahe am Limes) fließt, ist doch der Gedanke reizvoll, daß die verdeutlichende Anfügung von -apa auf Germanen zurückgeht. Germanen macht Reichardt nämlich auch für den Lautwandel idg. /o/ > /a/ im Namen der Jagst verantwortlich (Reichardt, Ostalbkreis 1, 329).
Diesen Lautwandel weisen aber noch weitere württembergische Flußnamen auf: Erms, Nabern und Seckach. Zumindest bei Erms und Nabern kann der o>a-Lautwandel auch andere Gründe haben, weil der Lautwandel in Namen mit diesen Etyma auch in nichtgermanischen Regionen vorkommt.

Eine letzte Auffälligkeit der württembergischen Flußnamenlandschaft will ich noch andeuten. Es geht um die sogenannten p-Namen. Die Vertreter dieser Gruppe sind zunächst nur Kupfer (< *Kupara) und Schefflenz, r. z.Jagst  (auf  badischem  Gebiet),  <  *Skapelantia (Schmid,  BzN.13,  1962, 211 f.). Einen weiteren p-Namen hätten wir in Pfersbach (indirekt z. Rems), 1364 Pfaerispach, wenn wir ausnahmsweise einmal nicht der Etymologie von Lutz Reichardt folgen, der den Namen als *Pferchs-bach erklärt (warum der Genitiv von Pferch?) (Reichardt, Ostalbkreis 2, 69 f.).
Anneliese Schmid bietet für den Namen eine indogermanische Etymologie an, indem sie ihn
auf *Parisa/-os (idg. *por- „hinüberführen“) zurückführt (A. Schmid, BzN.13, 1962, 69).
Da idg. /p/ in den keltischen Sprachen geschwunden ist, sind die Namen Kupfer, Schefflenz und Pfersbach zumindest als nichtkeltisch, vielleicht sogar als vorkeltisch zu kategorisieren; bei Schefflenz und Pfersbach kommt noch der ebenfalls nicht keltische Wandel von /o/ > /a/ hinzu.

nicht eindeutig als germanisch oder vorgermanisch bestimmbar:

  • Brenz,  l. z.  Donau,  <  *Brandisa  – germanisch oder keltisch?
  • Lone, z. Brenz, < Luna, Name  eines  römischen  Kohortenkastells  
    – germanisch oder voreinzelsprachlich-idg.?
  • Riß, r. z. Donau, < *Rusja – germanisch oder voreinzelsprachlich-idg.?
  • Rems, r. z. Neckar, < *Ra¯misa, in Anbetracht von mundartlich Ra¯m „feuchte Niederung” kommt auch germanische Herkunft in Betracht
  • Glems, r. z. Enz, < *Glamisa; da die Wurzel *glam- im Germanischen vertreten ist
    (z. B. in der Form Glam, Glahm, Klamm für schluchtartige Einschnitte und Hohlwege), kommt auch germanische Herkunft von Glems in Frage.

Manche  unbefriedigend  erklärten  Flußnamen  Württembergs  erhalten eine plausible Etymologie, wenn man bereit ist zur
Annahme , vorgermanische, vorwiegend römerzeitliche Siedlungsnamen konnten zu Flußnamen werden . So ist für die
  • Zaber, l. z. Neckar, 1443 vff der Zabern, vermutet worden, der Flußname führe lateinisch Taberna fort. Taberna ist ein typischer Name für römische Straßenstationen (Greule, Kontinuität durch Wechsel, 119 f.). Im Namen der 

  • Weihung, l. z. Iller, könnte der Name der in der Geographie des Ptolemaios (II 12,3) genannten polis Viána fortleben, was am Namen des Ortes Wain im Weihungtal, 1275 Wiewen, besser zu verdeutlichen ist (Springer, Flußnamen, 63). Die polis Viána dürfte ein Kastell südlich der oberen Donau westlich der Einmündung der Iller (Nierhaus, Zu den topographischen Angaben, S. 492) gewesen sein; via¯na ist ein von lat. via „Weg, Straße“ abgeleitetes Adjektiv. Die

  • Kessach,  r. z.  Jagst,  schneidet  auf  ihrem  Lauf  den  Limes  zwischen Osterburken  und  Jagsthausen.  Die  bisherigen  Deutungen  des  Namens (A. Schmid, BzN.12, 1961, 148 f.; H. Kaufmann, aha-Namen, 37 f.) überzeugen mich nicht. Deshalb schlage ich auch in diesem Fall Übertragung des Namens einer römischen Siedlung namens *Cas(s)iacum vor. Die Lautent-
    wicklung von *Cas(s)iacum zu 976 Chessaha ist völlig problemlos. Das einzige Problem stellt die Frage dar, ob diesseits des Limes entlang der Kessach eine solche Siedlung auch archäologisch nachgewiesen werden kann. Schließlich wage ich es, hier abschließend auch den Namen 

  • Sall anzureihen: Die Sall mündet genau dort in den Kocher, wo der Limes bei Sindringen
    (Kr. Öhringen) den Kocher überquerte. Diese Situation ist jener in Niederbayern vergleichbar, wo oberhalb von Regensburg im heutigen Ort Saal ein Bach in die Donau mündet und damit auf die damalige römische Reichsgrenze trifft. An dieser Stelle wurde ein spätrömischer Burgus ausgegraben. Ich vermute in der alten Form des bayrischen Ortsnamens, 790 (C.) Salla, eine germanische Bezeichnung für den Burgus (Greule, in: NI, Beiheft 20, 1999, S.117). Der gleiche germanische Ortsname könnte auch im Falle der württembergischen  Sall  vorliegen  und  auf  den  Fluß  übertragen  worden sein.

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